Im Schiff aus Beton: Aus Abfall wird Energie

Wir produzieren viel Kehricht und brauchen viel Energie, sowohl Strom als auch Wärme. Die Energiezentrale Forsthaus produziert Energie für die Stadt Bern und leistet einen Beitrag zur Abfallentsorgung. Wie funktioniert die Energiezentrale Forsthaus heute und wie sieht es in der Zukunft aus? Eine Reportage von Jens Haldimann und Marc Lovisetto.

Abb. 1: Energiezentrale Forsthaus von oben. Bild: Marc Lovisetto (05.04.2024)

Wir haben uns für eine Führung in der Energiezentrale Forsthaus (EZF) angemeldet. Nach der Führung werden wir noch Zeit haben, unseren Guide zu interviewen. Am Freitagmorgen ist es nun so weit, wir fahren mit dem Bus in Richtung Hinterkappelen, Schlossmatt. Bereits nachdem wir beim Güterbahnhof vorbeigefahren sind, sehen wir das Schiff aus Beton. So wird die EZF auch genannt. Und tatsächlich hat die EZF Merkmale, die an ein Schiff erinnern. Sie ist ein langes eher schmales Gebäude mit einem hohen Kamin in der Mitte, der mit etwas Fantasie der Kommandobrücke eines Schiffes ähnelt.

Am Besuchereingang der Anlage prangt das Logo von EWB, dem Betreiber der Anlage. Die EWB ist ein selbstständiges, öffentlich-rechtliches Unternehmen und gehört der Stadt Bern. Das Unternehmen ist in der Region Bern für die Versorgung von Energie und Wasser zuständig. Die Energiezentrale Forsthaus (EZF) trägt wesentlich dazu bei, dass EWB den Entscheid des Stadtberner Stimmvolks umsetzen und bis im Jahr 2039 aus der Kernenergie aussteigen kann.

Die vielfältige Energiegewinnung

Kurz vor neun Uhr betreten wir den Besucherraum und werden von unserem Guide, Rudolf Stäger, für die Führung freundlich begrüsst. Er erklärt uns, dass wir mit einer Schulklasse an der Führung teilnehmen werden. Nachdem diese eingetroffen ist, ziehen wir Warnwesten und Helme an und beginnen die Führung.

Das Betonschiff ist 305 Meter lang und 40 bis 70 Meter breit. Das Gebäude ist 47 Meter hoch, der Kamin 70 Meter. Bald wird auch klar, warum das Gebäude eine solche Grösse hat. Im Inneren der EZF stehen ein Holzheizkraftwerk (HHKW), ein Gas und Dampf Kombikraftwerk (GuD), eine Fernwärmeanlage. Zudem sind zahlreiche Filteranlagen, Dampf- und Gasturbinen mit Stromgeneratoren und die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) untergebracht. Die Energiezentrale Forsthaus verwendet viele verschiedene Energieträger für die Energieproduktion. Viele verschiedene Kraftwerke brauchen viel Platz, weshalb das Gebäude eine solche Grösse erreicht. In unserem Interview erläutert Rudolf Stäger, dass die verschiedenen Energiequellen sich gegenseitig ablösen können. Hätte man nur einen Abfallofen, könnte man die Energieversorgung nicht zuverlässig gewährleisten. Um die verschiedenen Anlagen zu betrieben, benötigt man jedoch Experten und spezifisches Wissen für die jeweiligen Anlagen.

Abb. 2: Kommandoraum der EZF. Bild: Jens Haldimann (05.04.2024)

Die gesamte Energiezentrale wird von einem Kommandoraum aus überwacht und gesteuert. Dort befinden sich drei Mitarbeiter welche die Anlage steuern, überwachen und Probleme beheben oder melden. Als wir mit unserer Gruppe den Raum betreten, herrscht Stille. Die Mitarbeiter im Kommandoraum sprechen wenig und sind auf ihre Aufgabe konzentriert. Sie begrüssen uns zwar, wenden sich aber rasch wieder ihren Bildschirmen zu. Rudolf Stäger ermahnt die Besuchenden grinsend, nichts anzufassen, ansonsten würden wir nicht rausgelassen werden, bis das entstandene Problem behoben ist.

«Man muss die Leute sensibilisieren, dass sie die Metalle in die Separatsammlung bringen.»
Rudolf Stäger (pensionierter Mitarbeiter und Guide von Führung der EZF)

Viele Kraftwerke produzieren nur Strom oder Fernwärme. Die EZF produziert beides. Der Strom wird ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Er wird durch verschiedene Generatoren erzeugt, welche von Turbinen angetrieben werden. Das HHKW, die KVA und das GuD-Kombikraftwerk produzieren Wärme, die zur Erhitzung von Wasser dient. Der entstehende Dampf treibt die Turbinen an, die Restwärme erhitzt anschliessend Warmwasser fürs Fernwärmenetz der Stadt Bern. Das Bundeshaus, das Inselspital, Berns Hauptbahnhof und unzählige weitere Gebäude werden von der EZF mit Wärme versorgt. Auch Dampf liefert die EZF, bestimmte Unternehmen benötigen ihn für spezielle Produktionsschritte.

Wie Funktioniert Fernwärme?

Fernwärme wird dafür verwendet, um Häuser zu beheizen und durch Boiler 
Warmwasser zu erzeugen. Die Wärme wird dabei durch ein Wärmekraftwerk 
oder ein Industriewerk produziert. Das warme Wasser wird durch 
Leitungen unter der Erde, das Fernwärmenetzwerk, zu den Häusern 
geleitet. In den Häusern wird die Wärme durch Wärmetauscher vom 
öffentlichen Netz in einen zweiten Wasserkreislauf übertragen. Dabei 
findet kein Wasseraustausch statt, es wird lediglich ein wenig Wärme 
dem öffentlichen Netz entzogen und an den internen Kreislauf des 
Hauses übertragen. An diesen Kreislauf kann zum Beispiel eine Heizung 
angeschlossen sein oder ein Boiler, der Warmwasser erzeugt. Weil bei 
jedem Haus Wärme dem Kreislauf entzogen wird, kühlt sich das Wasser im 
öffentlichen Kreislauf während des Zirkulierens langsam ab. Das 
abgekühlte Wasser wird im Wärmekraftwerk- oder Industriewerk erneut 
erhitzt und wieder in das öffentliche Netz gespeist. So schliesst sich 
der Kreislauf.

Fernwärme kann aber auch anders verwendet werden. Es gibt 
Fernwärmenetze mit relativ niedrigen Temperaturen. Dort wird das 
Warmwasser direkt zum Beheizen verwendet und es ist kein Wärmetauscher 
nötig. Andere Fernwärmenetzwerke transportieren statt warmes Wasser 
Dampf, welcher beispielsweise in industriellen Prozessen oder 
Spitälern verwendet wird.

Zahlen und Fakten

  • Die EZF kann pro Jahr bis zu 150'000 Tonnen Kehricht verwerten.
  • In der Anlage wird Energie aus Holz, Gas und Kehricht gewonnen. Zusätzlich wird mit Solaranlagen auch Sonnenenergie genutzt.
  • Die EZF gibt jährlich etwa 290'000 MWh in Form von Fernwärme ab.
  • Fernwärme wird durch 38 Kilometer lange Leitungen transportiert.
  • Zusätzlich werden bis zu 300'000 MWh Strom pro Jahr produziert. Das geschieht durch mehrere Turbinen für Dampf oder Gas und durch die Solaranlagen auf dem Dach des Gebäudes.
Abb. 3: Verbrennung von Kehricht in der KVA. Bild: Jens Haldimann (05.04.2024)

Was geschieht mit dem Abfall?

Die EZF leistet einen Beitrag zur Entsorgung von Abfall. «Man muss die Leute sensibilisieren, dass sie die Metalle in die Separatsammlung bringen», sagt Rudolf Stäger. In der Kehrichtverbrennungsanlage kann nicht alles verbrannt werden, deshalb ist es wichtig, dass der Abfall schon sortiert wird, bevor er in die EZF gelangt. Als Teil der groben Sortierung durch die Bürger sollten beispielsweise Metall-, Glas-, Papier-, und Plastikabfälle getrennt werden. Andere Abfälle wie zum Beispiel Industrieabfälle werden in sogenannten Bauschuttsortierungsanlagen sortiert. Alle brennbaren Restabfälle werden schlussendlich in die EZF geliefert und verbrannt.

Nachdem der Abfall von Lastwagen angeliefert wird, landet er im sogenannten Bunker. Dort wird der Abfall von einem Kran in einen Einfülltrichter gehoben, von wo aus er über einen Schacht dem Verbrennungsofen zugeführt wird. Der Kranführer muss dabei darauf achten, dass die verschiedenen Abfälle vermischt eingefüllt werden – so erreicht man einen einigermassen homogenen Brennstoff. Durch das Verbrennen kann das Volumen des Abfalls auf einen Zwölftel und das Gewicht auf einen Viertel reduziert werden. Diesen Rest muss noch deponiert werden.

Abb. 4: Bunker in der EZF mit den Andockstationen für LKWs, aufgenommen aus der Kommandozentrale. Bild: Jens Haldimann (05.04.2024)

Gemäss den Erläuterungen von Rudolf Stäger können in der EZF noch einzelne Stoffe wie Eisen aussortiert werden. Das werde durch den Überbandmagneten ermöglicht, sagt Rudolf Stäger. Metalle wie Aluminium oder Kupfer werden nicht selbst aussortiert, sondern erst auf der Deponie. Abgeschiedene Schwermetalle wie Zink, Blei oder Cadmium landen im Filterkuchen, der nach Deutschland geliefert wird, wo die Metalle zurückgewonnen werden können.

Nachdem wir die Verarbeitung des Abfalls, verschiedene Generatoren und andere Kraftwerke im Inneren der Anlage besichtigt haben, gehen wir nach draussen. Die morgendliche Sonne scheint auf das Betonareal und es weht eine leichte Brise. Wir sind froh, der stickigen, warmen Luft in der Anlage zu entkommen. Unser Guide zeigt uns Andockstationen der Abfallwagen. Gerade wurde ein Müllwagen entleert. Wir gehen noch um das Gebäude herum und schauen uns die Silos für die Holzschnitzel an. Rudolf Stäger erklärt uns, dass die Silos so gross gebaut wurden, damit die Energiezentrale an Wochenenden und Feiertagen keine Anlieferungen benötigt, da sie die Holzschnitzel für einige Tage auf Lager haben können. Nach dem kurzen Rundgang an der frischen Luft, begeben wir uns wieder ins Innere der Anlage. Nach einem kurzen Abstecher auf den Schornstein gehen wir nochmals quer durch das Gebäude und erreichen nach dem langen Flur den Empfangsraum. Dort ziehen wir Helm und Weste aus. Die Schulklasse, die mit uns die Führung gemacht hat, verabschiedet sich von unserem Guide. Für uns ist der Besuch noch nicht zu Ende, wir haben jetzt noch Zeit, um ein Interview mit Rudolf Stäger zu führen.

«Wir sind guten Mutes, dass der Geospeicher den Gesamtwirkungsgrad der Anlage erheblich steigern kann.»
Rudolf Stäger (pensionierter Mitarbeiter und Guide von Führungen der EZF)

Während des Interviews erfahren wir, warum Rudolf Stäger die Führungen hier im Forsthaus macht. Früher war er für alles Elektrische in der EZF zuständig. Er hat Mess-, Steuer-, Regel- und Leittechnik unterhalten. Heute ist er pensioniert und macht Führungen für Gruppen, weil sie gute Nebenbeschäftigungen seien, aber vor allem, weil er seine alten Arbeitskollegen nicht aus den Augen verliert und Neuheiten über die EZF immer mitbekommt. Trotz des Ruhestands verliert er nie den Blick für die Energiezentrale Forsthaus und bleibt durch sein Interesse an technischen Neuerungen ein Teil des Teams. Er kann kommen und Führungen machen, wann immer er will, und muss nicht begründen, wenn er einmal nicht kommen will oder kann.

Auszug aus dem Interview mit Rudolf Stäger

Gibt es einen besonderen Grund, warum die EZF genau hier gebaut wurde? 
Ja. Die EZF ist in der Nähe des alten Standortes, welchen man 
seinerzeit vor allem gewählt hat, um das Inselspital mit Wärmeenergie 
zu versorgen. Später, in den Sechzigern, hat man Richtung Bahnhof 
ausgebaut und so sind die Fernwärmeleitungen dort unten 
zusammengeführt. Der neue Standort wurde hier in der Nähe gewählt, 
weil man sonst plötzlich kilometerlange Leitungen hätte bauen müssen, 
um das Leitungsnetz zu erschliessen. Auch verkehrstechnisch ist der 
Standort nicht schlecht: Eine nahe Autobahn und ein wenig entfernt von 
den Wohnquartieren.
Fernwärme wird über 38 km transportiert. Wie viel Verlust gibt es denn da?
Das kommt auf die Jahreszeit an. Im Winter, wenn viel Wärme benötigt 
wird, zirkuliert viel warmes Wasser im Netz. Dadurch ist der Verlust 
tiefer, die Grössenordnung liegt etwa bei fünf Prozent. Im Sommer, 
wenn es wenig Wärme braucht, zirkuliert weniger im Netz und der 
Verlust steigt auf bis zu zehn Prozent an, im Extremfall auf etwa 
fünfzehn Prozent.
Was sind die Vorteile von Fernwärme? Ist es so viel effizienter, alle Wärme an einem Ort herzustellen?
Es wird nicht nur an einem Ort Wärme produziert. Es gibt einen 
weiteren Standort in Bümpliz sowie kleine Standorte wie beim 
Gäbelbach, im Wyler und im Viktoria. Die Absicht ist, schlussendlich 
alles miteinander zu verbinden. Das hat den Vorteil, dass die Anlagen 
füreinander einspringen können, wenn eine ausfällt.

Ein weiterer Vorteil ist die CO2-Reduktion gegenüber Öl- und 
Gasheizungen. CO2-Reduktion ist übrigens ein nächster Schritt für die 
EZF. Man will CO2 aus den Abgasen eliminieren. Allerdings sind das 
erst Ideen und Pläne in den Köpfen.

Zukunft der Energiezentrale Forsthaus

In unserem Interview fragen wir, ob man in Zukunft mit Kapazitätsproblemen bei der Abfallverbrennung rechnet. «Seinerzeit wurde das EZF mit gewisser Reserve geplant, mittlerweile sind wir schon ziemlich am Anschlag dieser Reserve. Aber im Moment ist die Kapazität der EZF sicher kein Problem.» erklärt uns Rudolf Stäger. Ausserdem wird die Menge an Abfall dank der Plastikseparatsammlungen wahrscheinlich noch ein wenig abnehmen.

In ein paar Jahren will die EWB doppelt so viele Kunden mit Fernwärme versorgen wie heute. Das wären dann fast 30% von Bern. Das kann nicht nur mit der EZF bewerkstelligt werden, deshalb wurde bereits ein neues Holzheizkraftwerk im REHHAG gebaut. Dieses wird dann mit dem EZF im Verbund zusammengeschlossen werden, sagt Rudolf Stäger.

In Zukunft wird die EZF auch das Pilotprojekt «Geospeicher» umsetzen. Im Sommer soll überschüssige Wärme in Gestein in gut 200 und 500 Metern Tiefe gespeichert werden. Diese wird dann im Winter, wenn man sie braucht, zurückgewonnen. Auf diese Weise wird ein Speicher mit einer Kapazität von 12 bis 15 Gigawattstunden angelegt. «Wir sind guten Mutes, dass der Geospeicher den Gesamtwirkungsgrad der Anlage erheblich steigern kann», sagt Rudolf Stäger. Es ist noch nicht klar, ob der Geospeicher den gewünschten Erfolg erzielt. Er ist das erste Projekt solcher Art in der Schweiz, weshalb man nur wenig Erfahrung hat.

Nachdem wir unser Interview abgeschlossen haben, verabschieden wir uns von Rudolf Stäger und verlassen den Besucherraum. Um die Energie bereitstellen zu können müssen grosse Anlagen gebaut und betrieben werden. Auch für die Entsorgung von Abfall braucht es ein gut organisiertes System und grosse komplexe Anlagen. Die EZF kombiniert die Energieproduktion mit der Abfallentsorgung. Für uns war es eine interessante Führung und ein spannender Einblick in komplexe Prozesse.


Quellen: ewb.ch (Zugriff: 31.03.2024)